Sicherheit setzt Stabilität voraus. Diese schafft man länderübergreifend mit wirtschaftlicher, ziviler und militärischer Kooperation. Das gilt auch für die Partner, welche mit unterschiedlicher Intensität an der europäischen Sicherheitsarchitektur bauen. Ihnen widmete sich der 2. Bodenseekongress.
Unter Führung der OG Bodensee und ihres Präsidenten Oberst Thomas Hugentobler boten die deutschen und österreichischen Mitorganisatoren des 2. Bodenseekongress vom 17. Mai 2014 im Unternehmerforum Lilienberg ob Ermatingen TG den gut 100 Teilnehmenden eine attraktive Übersicht über die Beiträge, welche zu Krisenprävention und Krisenbewältigung geleistet werden.
Botschafter Christian Catrina, Chef Sicherheitspolitik im VBS, erinnerte einleitend daran, dass die drei Anrainerstaaten des Bodensees unterschiedlich vernetzt sind mit der europäischen Sicherheitsarchitektur: Deutschland gehört der NATO, der EU und der OSZE an, Österreich der EU und der OSZE, die Schweiz einzig der OSZE; sie führt 2014 den Vorsitz der grössten regionalen Sicherheitsorganisation der Welt.
OSZE im Aufwind
Die Ereignisse in der Ukraine haben den umsichtig vorbereiteten Aktivitätenkatalog der Schweiz neu aufgemischt. Jetzt interessiert vorab die Frage, was die dem Konsens verpflichtete OSZE in der Krise zwischen zweien ihrer Mitglieder erreichen kann. Die gerne unterschätzte, ja schon oft totgesagte OSZE hat in den letzten Wochen massiv an Resonanz und Einfluss gewonnen, gab sich Botschafter Thomas Greminger, seit 2013 ständiger Vertreter der Schweiz bei der OSZE und der UNO in Wien, überzeugt. Genau für solche Krisen sei die OSZE geschaffen. Dank ihren breit abgestützten Strukturen und Instrumenten ist diese Sicherheitsorganisation in der gegenwärtigen Situation als einer der wenigen Akteure vor Ort handlungsfähig. Bereits während der Unruhen auf dem Majdan-Platz trat sie in Aktion. Präsident Janukowitsch lehnte Hilfe zwar dankend ab. Nach dem Regierungswechsel unterbreitete Bundespräsident Didier Burkhalter dem UNO-Sicherheitsrat einen Monitoring-Vorschlag und erntete Zustimmung. Im März baute die OSZE diese «Special Monitoring Mission» auf, an der sich bis Mitte Mai 212 Personen aus 40 Teilnehmerstaaten beteiligten, darunter drei Schweizer, wovon einer als Deputy Chief Monitor. Das Monitoring soll sechs Monate dauern, eine zweimalige Verlängerung ist möglich. Ziel der Mission ist, zusammen mit der internationalen Gemeinschaft (UNO und Europarat) Spannungen abzubauen, Frieden, Sicherheit und Stabilität zu fördern und dafür zu sorgen, dass alle OSZE-Grundsätze und Pflichten, wie Menschenrechte und Grundfreiheiten, eingehalten werden. Dies soll in einem offenen Dialog mit der Bevölkerung sowie mittels Beobachtungen und Berichterstattungen geschehen. Im Hinblick auf die Präsidentschaftswahlen vom 25. Mai 2014 wurde die wohl grösste Wahlbeobachtermission der Geschichte aufgegleist, mit bis zu 900 Beobachtern am Wahltag.
Stark trotz Schwächen
Greminger, der seit 2014 den Ständigen Rat der OSZE leitet, verhehlte nicht, dass die OSZE neben ihren Stärken, wie dem Konsensprinzip, der geografischen Spannweite mit 57 Teilnehmerstaaten und 11 Kooperationspartnern von Vancouver bis Wladiwostok sowie ihren effizienten Feldoperationen auch Schwächen aufweist. Das Vetorecht jedes einzelnen Mitglieds kann Aktionen lähmen und Partikularinteressen übermässiges Gewicht verleihen. Einzelne Projekte (z. B. Aserbeidschan, Armenien) stagnieren, und die bescheidenen finanziellen Mittel schränken die Aktivitäten ein. NATO und UNO sind viel besser dotiert. Aber die OSZE bleibt die ideale Plattform zur Vertrauensbildung zwischen Ost und West.
Feldarbeit
Das Ukraine-Monitoring ist die jüngste von 15 Feldmissionen mit unterschiedlichen Mandaten und Kompetenzen. Kaum hatte die Schweiz den Vorsitz übernommen, kam es im Januar zu einer Schiesserei zwischen kirgisischen und tadschikischen Sicherheitskräften in der Vorukh, einer tadschikischen Exklave in Kirgistan. Grenzkonflikte sind besonders heikel wegen ihres Eskalationspotenzials. Beiden Ländern wurde ein OSZE-Paket mit technischer Hilfe beim Grenzmanagement offeriert. Die russische Föderation blockte eine Vermittlung zwar ab, zeigte hingegen Interesse für die Grenzdemarkationsexpertise und Ausbildung von Grenzpersonal. Auf die teils gewalttätigen Proteste und Unruhen in Bosnien anfangs Februar reagierte die OSZE mit einer grossen Feldmission als Dialogplattform und schickte den Schweizer Sondergesandten Gérard Stoudmann nach Sarajewo.
Greminger zog insgesamt eine positive Bilanz. Die Schweiz wirkt als Brückenbauerin und betreibt damit Neutralitätspolitik par excellence. Er warnte jedoch vor zu hohen Erwartungen. Die zunehmende Verhärtung der Ost-West-Beziehungen wird die Arbeit künftig tendenziell erschweren, die Konsensfindung wird noch zäher.
Ukraine-Krise – neue Eiszeit zwischen Ost und West
Oberst d R Ernst-Reinhard Beck, von 2003–2011 Mitglied des deutschen Bundestags und zeitweilig verteidigungspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, stellte das Verhältnis zwischen NATO und Russland ins Zentrum seiner Ausführungen. Mit der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim löste Russland die schwerste Krise seit 1980 aus und verstiess mit der Missachtung der territorialen Integrität unter anderem gegen die KSZE- Schlussakte von 1989 und die Istanbuler Gipfel-Erklärung von 1999. Für den Westen ist klar, dass das postsowjetische nahe Ausland gefährdet ist. Der Ruf der ost- und mitteleuropäischen Staaten nach sichtbarer NATO-Präsenz an ihren Ost- grenzen und verstärkt überwachtem Luftraum überraschte nicht. Russland stuft die NATO-Osterweiterung als Wortbruch des Westens ein, mit einem Beitritt von Georgien oder der Ukraine wäre die rote Linie überschritten. Die Interventionen im Balkan, im Irak und Libyen bezeichnet Russland als Verstösse gegen das Völkerrecht, da ein entsprechender Beschluss des Sicherheitsrates fehlte. Die UNO-Vollversammlung sah jedoch von einer Verurteilung ebenso ab wie später der Internationale Gerichtshof. Die Luftschläge gegen Jugoslawien sollten den drohenden Völkermord verhindern.
Für Beck ist eine echte strategische Zusammenarbeit zwischen Russland und der NATO unabdingbar für den europäischen Sicherheitsraum. Eine Partnerschaft funktioniert jedoch nur im gegenseitigen Vertrauen. Auf einen NATO-Beitritt können einzig Staaten hoffen, deren Bevölkerung dies wünscht und die keine ungelösten territorialen Probleme mitbringen. Damit gibt es zurzeit weder für Georgien noch die Ukraine eine NATO- Perspektive.
Das strategische Konzept der NATO
Der Lissaboner Gipfel von 2010 hielt fest, dass kollektive Verteidigung und Krisenbewältigung sowie kooperative Sicherheit ebenso Kernaufgaben der NATO bleiben wie die Abschreckung mit nuklearen und konventionellen Fähigkeiten. 2012 wurden in Chicago die verbesserte Zusammenarbeit unter den Partnern propagiert und der Ausbau der Luftverteidigungsmittel inklusive Raketenabwehr beschlossen. Eine eigene Erklärung begleitete den Rückzug der ISAF aus Afghanistan. Damit besiegelte die NATO wohl einstweilen ihre «Expeditionskriegsführung».
Solange Sicherheit vor Russland geschaffen werden muss, bleibt die NATO das wichtigste Mittel der Sicherheitspolitik. Was ihre Konzepte angeht, sind die Gemeinsame Verteidigungspolitik der EU (GSVP) und die NATO richtig positioniert, zu den Fähigkeiten setzte Beck eher Fragezeichen. Die Verteidigungsausgaben sinken, während das russische Militärbudget wächst. Europa fehlt das elektronische Rüstzeug für eigenständige Operationen. Damit spielte Beck den Ball an den nächsten Referenten weiter.
GSVP ohne Biss
Entstanden ist das damals noch Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) genannte Konzept 1999. Krisen und die Uneinigkeit der EU haben es geprägt, wie Magister Markus Weidinger, Mitglied der Ständigen Vertretung Österreichs bei der EU, einräumte. Laufend überarbeitete Vereinbarungen folgten einander in hoher Kadenz. Unter dem vielversprechenden Titel «Ein sicheres Europa in einer besseren Welt» hielten die damaligen Mitgliedstaaten der EU im Lissaboner Vertrag 2009 fest, mit der GSVP alle Arten von Krisenmanagement anzuwenden, von humanitären Aufgaben über friedenssichernde Massnahmen bis hin zu Kampfeinsätzen. Eine Zusammenarbeitsvereinbarung mit der NATO datiert aus dem Jahr 2003, ein Umsetzungsbericht entstand 2008 und nahm neu die Cybergefahren auf. Zivile Krisenmanagement-Instrumente der GSVP sind Beobachter- und Grenzüberwachungsmissionen, Polizei und Rechtstaatlichkeitsmissionen (z.B. EULEXimKosovo). Substantiellemilitärische Einsätze leistete die EUFOR 2003 in Mazedonien (Operationen Concordia), 2004 löste sie in Bosnien-Herzegowina die Stabilisierungskräfte (SFOR) der NATO ab. Die 2010 propagierten Krisenreaktionskräfte (Battlegroup) wuchsen nicht über die Konzeptphase hinaus.
Vage formuliert ist die Beistandsklausel im EU-Vertrag. Zwar schulden im Falle eines bewaffneten Angriffs auf das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats die anderen Mitgliedstaaten diesem alle in ihrer Macht stehende Hilfe und Unterstützung, im Einklang mit Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen. Ein 2. Absatz relativiert: «Dies lässt den besonderen Charakter der Sicherheits- und Verteidigungspolitik bestimmter Mitgliedstaaten unberührt.» Was das zum Beispiel für Österreich heisst, ist nicht definiert.
Im Dezember 2013 lancierte der Europäische Rat drei Themenkörbe: Die GSVP sollte effektiver und sichtbarer werden, ihre Fähigkeitsentwicklung intensiviert und die europäische Verteidigungsindustrie gestärkt werden.
Taten statt Worte
Im abschliessenden von ASMZ-Chefredaktor Peter Schneider straff geführten Podium kam das gemeinsame Bestreben zum Ausdruck, nicht wieder in das Null-Summen-Spiel des Kalten Krieges zu verfallen. Daran haben alle europäischen Sicherheitsinstrumente ihren Beitrag zu leisten. Vermag die OSZE ihre aktuelle Effizienz beizubehalten, stärkt sie ihre Daseinsberechtigung. NATO und EU müssen bestrebt sein, ihre militärische und politische Glaubwürdigkeit zu bewahren; ohne Einigkeit und angemessene Verteidigungsbudgets funktioniert das jedoch nicht.
Dieser Artikel erschien in der August-Ausgabe der ASMZ (2014), verfasst von Irène Thomann-Baur.